6. Personas non grata

Warum Personas digital nicht weiterhelfen

Auch wenn wir uns sicher sind, dass jeder bereits von ihnen gehört hat, hier kurz zusammengefasst, was Personas sind:

Personas sind Beschreibungen von fiktiven Wunschkunden. Diese sollen helfen, ein genaues Bild der Menschen, die sich für meine Leistungen interessieren, zu finden. Dazu werden Beschreibungen mit echt klingenden Namen, realistischen Lebensläufen und mitunter auch eigenwilligen Vorlieben entwickelt.

Eigentlich könnten wir es kurz machen, alles auf das Wort „fiktiv“ zurückführen und den Text beenden. Denn genau hier liegt das Problem von Personas. Sie sind nicht real. Ende. Aber so leicht machen wir es uns in dem Fall nicht und begründen unsere Einstellung näher: Klar, wenn man sich anstrengt und wirklich gründlich recherchiert, wird man auf Basis von echten Daten aus Facebook-Fans, Analysen aus Programmatic, Statistiken aus Google Analytics usw. richtig detaillierte Personas formulieren können. Und wenn man dies nicht zum ersten Mal macht, kommen tolle Steckbriefe zum Vorschein, die sehr real wirken. Die Betonung liegt auf wirken.

Jetzt kommt das große Aber, vielmehr einige Abers. Gesetzt den Fall, dass das Erstellen von Personas wirklich über Analysen und Statistiken erfolgt – was meist nicht der Fall ist, da sie leider meist das Ergebnis einer kreativen Beschäftigung sind –, so kommt es hierbei immer zu einer Veränderung der Rohdaten durch Reduktion, Anreicherung, Interpretation, Schlussfolgerung oder Verkürzung. Folglich ist eine definierte Persona erheblich reduziert, vereinfacht, optimiert und wieder angereichert. Und dabei wird auch immer etwas ganz weggelassen. Damit gewinnt etwas anderes, das bestehen bleibt, mehr an Gewicht. Somit ist es schon wieder kein reales Abbild, auch wenn noch so viele Daten interpretiert wurden. Weiters ist eine Persona in sich statisch. Sprich, es ist keine KI, die tausende Daten interpretiert und wenn sich morgen Vormittag ein Wert über einen Schwellenwert verändert, die Persona entsprechend angepasst. Zugegeben, es gibt mittlerweile Werkzeuge die genau dies können, allerdings stellt sich die Frage nach dem Zweck für diese Anwendungen. Die logische Schlussfolgerung: Eine Persona ist nicht nur fiktiv, sondern zum Zeitpunkt der Erstellung schon veraltet. So ähnlich wie Brot vom Vortag! Genau das brauchen wir für den digitalen Bereich nicht.

Was bedeutet das digital?

Digital wird jeden Tag neu verzinst. Jeden Tag ändert sich der Markt. Jeden Tag gibt es bei Facebook eine neue Timeline. Jeden Tag gibt es eine andere Suche mit anderen Ergebnissen. Man möge sich an diesem Punkt 20 Personas versus die Unendlichkeit vorstellen. Kleiner Tipp: Die Unendlichkeit gewinnt. Jemand, der glaubt, man kann auch nur einen Augenblick die Realität durch ein fiktives statisches Werk anhalten, um leichter einen Überblick zu bekommen, wird im digitalen Kampf um Platz 1 immer verlieren.

Jetzt sind wir provokant: Personas sind ein Vehikel, um Menschen mit Angst vor der digitalen Welt einen vermeintlichen Halt zu geben. Psychologisch gesehen eigentlich ein einfacher Trick der Agenturen. Die schier unfassbare technische Komplexität der digitalen Welt mit eigenen Gesetzen und Trends lässt das eigene Tun oft hilflos erscheinen. Dann kommt die Agentur und liefert Steckbriefe von 20 real wirkenden Personen: Herbert, Susanne, Helmut, Stefanie, Ismael, Kurt,... Wie schön ist doch die Welt. Und so einfach, so beherrschbar. Ein Traum! Ja, leider nur ein Traum. Bitte aufwachen!

Was heißt das für mein Unternehmen?

Personas sind einfach ungeeignet, um eine digitale Strategie zu entwickeln. Der kleinste Fehler in der Analyse und Entwicklung von Personas lässt das Unternehmen völlig falsche Schlüsse ziehen. Die Homöopathie des Marketings könnte man es nennen – sprich große Mengen an Rohdaten so lange vereinfachen bis am Ende nur mehr Herbert steht. Hallo Herbert, Herbert wir lieben dich. Du wirst uns unser Marketing retten! Ähnlich der Homöopathie regiert hier der Glaube und nicht die Fakten. Genug der Entlarvung, echte Lösungen müssen her. Die Besucher meiner Website sagen mir, mit ihrem Verhalten auf dieser, schon so viel über ihre Bedürfnislage, sodass ich keine zusätzlichen Informationen brauche, um ein Informationsangebot zu entwickeln und eine Conversion nach der Conversation abzuleiten.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ich bin ein Hersteller von Saunen und habe eine gut aufgestellte Website mit vielen Infos. Auf diese kommt nun ein Besucher über Google mit der Suchanfrage „Sauna bei Herzbeschwerden“. Mit dieser sagt mir der Kunde:

  • Ich interessiere mich für eine Sauna oder Wellness im Allgemeinen.
  • Ich habe Herzbeschwerden, erhöhten Blutdruck oder habe schon einmal einen Herzinfarkt erlitten.
  • Ich möchte wissen, ob Saunieren für mich gut ist oder sogar gegen meine Beschwerden helfen kann.
  • Oder ich erkundige mich für einen nahen Angehörigen, auf den das Obengenannte zutrifft.
  • Ich weiß nicht viel über Sauna und würde mich über Informationen sehr freuen.
  • Generell möchte ich mehr auf mich und meinen Körper achten. Daher sind Informationen über gesunden Lebensstil für mich sehr interessant.

Zwei Hauptwörter und eine Präposition. Zack. Eine halbe Persona. Muss ich jetzt Herbert dazu sagen? Oder ergänzen, dass die Person 52 Jahre alt ist? Kann ich das aus der Suchanfrage herauslesen. Nein. Genau das ist das Problem bei Personas. Ich habe eigentlich alle Informationen, die ich brauche, erfinde aber irrelevante Merkmale dazu und am Ende fehlt die Relevanz. Es ist für die Entwicklung eines Websitetextes über „Sauna bei Herzbeschwerden“ völlig egal, welchen Beruf der Suchende hat. Absolut egal, wie die Person heißt und komplett nebensächlich, wie alt sie ist. Wahrscheinlich nicht 20. Aber selbst das wäre egal. Alle diese Informationen tragen nichts zum notwendigen Inhalt bei. Auch das Haushaltseinkommen ändert nichts. Kann sich der Besuchende keine Sauna leisten, dann liest er nur den Text, vielleicht für den Vater, den Onkel oder sonst jemanden. Es gibt ein Informationsbedürfnis zum Thema „Sauna bei Herzbeschwerden“ und das muss befriedigt werden, wenn man als Unternehmen digital kompetent sein möchte. That‘s it. Wichtig ist zum Abschluss noch die Conversion, die informiert, dass man als Unternehmen gerne noch weiterberät, über einen schönen Schauraum verfügt oder auch noch online weitere Informationen rund um das Thema anbietet. Da ist er, der Kunde. Hurra. Der Kunde heißt aber nicht Herbert, komisch, aber in unserer Persona stand doch Herbert...